Samstag, 6. Mai 2017

Mittagsloch

Nach Plan ist heute nicht gerade viel gelaufen, aber einen schönen und fordernden Tag hatten Hans und ich auf jeden Fall. Vom Wanderparkplatz bei Ettenberg ging es noch planmäßig bis zum Scheibenkaser und ab dort lag auch planmäßig Schnee und wir legten planmäßig die Garmaschen an. Mit den vielen 'planmäßig' im letzten Satz habe ich den geschätzten Leser hoffentlich davon überzeugt, dass wir einen Plan hatten. Dieser Plan hätte vorgesehen, vom Schneibenkaser mit etwas Zeitverlust aufgrund des Schnees zum Einstieg der Tour 'Direkte Westwand' in der Südwand des Berchtesgadener Hochthrons zu stapfen, dort die Rucksäcke zu deponieren und hinauf zu klettern. Anschließend wollten wir durchs Mittagsloch zurück zum Einstieg absteigen und über unsere Aufstiegsspur zum Parkplatz gelangen. Wie gesagt, bis zum Scheibenkaser soweit alles planmäßig. Mit den angelegten Gamaschen endete jedoch unsere Planmäßigkeit, auch wenn wir uns dessen noch nicht bewusst waren. Durch den Schnee war der Steig in Richtung Mittagsloch natürlich nicht erkennbar und wir stachen in direkter Linie hinter der Hütte aufwärts. Es ging auch einigermaßen gut, hin und wieder wurde der Schnee etwas tief und die Latschen etwas dicht, aber ansonsten machten wir gut Meter. Am Ende der Latschenschlurferei wartete allerdings die erste Überraschung des Tages auf uns, wir standen auf einmal auf einem relativ scharfen Grat der uns von den Hängen unterhalb des Berchtesgadener Hochthrons, wo der eigentliche Zustieg sein sollte, trennte. Also stiegen wir eine nicht ganz komfortable, ca. 10 m lange, etwas erdige Rinne ab, ehe wir wieder in einem schneebedeckten Hang standen. Nun ging es fast planmäßig weiter. Nicht ganz planmäßig waren die teilweise ganz schön mächtigen Nassschneerutschungen die unter uns Richtung Tal donnerten. Es lag doch noch etwas mehr Schnee wie gedacht. Das machte sich auch beim Stapfen bemerkbar und wir versuchten unsere Spur relativ knapp unter der Wand anzulegen, um den einigermaßen schneefreien Bereich nahe der steilen Felswände zum queren zu nutzen. Auch der Plan ging nicht auf, plötzlich standen wir vor einem Abbruch und mussten wieder 100 hm absteigen. Dabei donnerte noch mal etwas Nassschnee hangabwärts. Um die nächste Ecke verließen wir den schneereichen Bereich und kamen in leicht schneebedecktes Schrofengelände, was nicht unbedingt angenehmer war, da wir die brauchbaren Tritte unter dem rutschigen Schnee erst finden mussten. Gelegentlich trafen wir nun jedoch auf den markierten Steig, auf dem es sich sehr angenehm ging, solange er zu erkennen war. Nach der Fels-Schnee Rutschpartie war das trockene, schottrig-brüchig-erdige Schrofengelände auf den letzten Metern zum Einstieg eine wohltuende Abwechslung.
Da saßen wir nun in der Nische beim Einstieg zur ersehnten Klettertour und genossen die Aussicht. Das Wetter war heute nämlich wirklich traumhaft und der Blick auf die schneebedeckten Gipfel ringsum der absolute Wahnsinn. Vom Dachstein bis zum Watzmann funkelten und glitzerten die frisch angezuckerten Gipfel uns entgegen. Fast ein bisschen so, als wenn sie uns auslachen wollten, dass wir heute Klettern wollten anstatt eine Schitour zu machen. In der Nische saß es sich recht gut, dennoch mussten wir irgendwann eine Entscheidung treffen wie es weiter gehen sollte. Unser Plan war mittlerweile klar durchkreuzt von den doch unterschätzten Schneemengen und wir wollten keinesfalls wieder über den Zustieg absteigen. Also blieben uns (dachten wir zumindest in diesem Moment) drei Optionen. Wir könnten in die Tour einsteigen, dabei aber die nicht ganz leichten Rücksäcke mitnehmen und hoffen, dass wir zum Schluss nicht an der vermeintlich schneebedeckten Aussstiegsseillänge scheitern würden. Wir könnten versuchen durchs Mittagsloch zu kommen und hofften, dass nicht zu viel Schnee in der Ausstiegsdoline liegen würde, sodass wir es schaffen uns durchzugraben. Und wir könnten versuchen durch das relativ schneefreie Schrofengelände unter uns einen schneegefüllten Graben zu erreichen der uns zum Wanderweg Richtung Scheibenkaser bringen sollte. Als wir den Regenvorhang ungefähr 10 m vor uns bemerkten, der vom Ausstieg der konstant leicht überhängenden Wand herunter tropfte, wurde die Option Rucksack-klettern und auf trockene Verhältnisse hoffen schlagartig unattraktiver. Da mich das Schrofengelände unter uns eigentlich nicht anlachte und ich vermutete, mit meinen Laufschuhen dort nicht allzu viel Halt zu finden, versuchten wir unser Glück im Mittagsloch. Mit der Smartphone-Taschenlampe stiegen wir die Leiter durchs Mittagsloch hinauf und, wie erwartet, war der Ausgang mit Schnee versperrt. Der Schnee war aber weich und so begann ich mit Stecken und Händen ein Loch zu graben. Da wir schon am Ende der Leiter im Zentrum der Doline standen, hoffte ich bald durchzubrechen. Aber wieder einmal war uns das Schicksal heute nicht gewogen und nachdem ich mit dem Stecken ungefähr 4 m über mir immer noch nicht zur Oberfläche durch brach, versuchte ich einen anderen Weg. Nach links zog sich am Fels entlang ein Schlurf zwischen Fels und Schnee, in dem ich noch ein paar Meter schneefrei aufwärts kam und wieder ein Loch zu graben anfing. Auch dort gelang es mir aber nicht an die Oberfläche durchzustoßen. Also versuchte ich ein letztes Mal mein Glück und robbte den Fels-Schnee Kanal weiter aufwärts. Dort und da höhlte ich die Schneewand etwas weiter aus um voran zu kommen und so machte ich mühsam Meter um Meter. Ich bildete mir sogar ein, ein wenig Tageslicht in der Ferne durchschimmern zu sehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit übergab ich die Handschuhe und den Stecken an Hans mit der Bitte, mich mal abzulösen. Auch er robbte hinauf, meinte aber, dass da absolut kein Tageslicht zu sehen sei und meine Mühen außer Schweiß nichts hervor gebracht hätten. Na gut, ich gab mich geschlagen und fand mich doch damit ab, dass wir über das Schrofengelände absteigen müssten. Also wieder hinunter am Stahlseil und als dieses aus war in direkter Linie weiter talwärts. Überraschend angenehm kamen wir im nahezu schneefreien Gelände abwärts und erreichten bald den schneegefüllten Graben. Zwei kurze, unschwierige und schneefreie Steilstufen im Fels kamen wir auch rasch hinunter und erreichten den Wanderweg der uns zurück zum Scheibenkaser brachte. Dort gönnten wir uns eine wohlverdiente Jausenpause in der Sonne und ließen uns die heutige Meisterleistung an Planungsflexibilität noch mal durch den Kopf gehen. Wenn man mal den durchaus optimierbaren Zustieg außer Acht lässt, hatten wir dummer Weise die im Nachhinein beste Option nicht am Radar gehabt. Wir hätten einfach ohne Rucksack in die Tour einsteigen können, soweit klettern wie es die Bedingungen zugelassen hätten und uns danach wieder zum Einstieg abseilen. Da ich aber unbedingt den Abstieg über das überraschend unproblematische Schrofengelände vermeiden wollte, hatte ich diese Option überhaupt nicht in Betracht gezogen. Naja, danach ist man immer schlauer. Den entspannten Abstieg vom Scheibenkaser zum Auto genoss ich in vollen Zügen ohne jegliche Absturzgefahr. Nach einem so ereignisreichen Tag ist ein wenig gemütliches Wandern Balsam für die Seele.
Die Schlussfolgerung des heutigen Tages ist recht klar: Solange noch Schnee unter der Südwand des Berchtesgadener Hochthrons liegt und das Mittagsloch mit Schnee versperrt ist, würde ich nicht empfehlen eine Klettereien dort zu planen. Es kommt höchst wahrscheinlich anders als geplant.

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