Sonntag, 24. Juni 2018

Fedele

Erst um 5 Uhr läutete Melanies Wecker heute. Ein klarer Vorteil, wenn man am Ausgangspunkt schläft. Der vorbereitete Tee und die vorgestrichenen Frühstücksbrote hatten wir auch bald im Bauch und so konnte uns die kühle Morgenluft nichts anhaben. Es war allerdings auch wärmer als ich befürchtet hatte, da konnte ich für den Zustieg eine Schicht weniger als geplant anlegen. Während wir zum Wandfuß der imposanten Westwand der Pordoi Spitze aufstiegen, erleuchtete die Morgensonne die Spitzen des Lankofel Massivs - ein unbeschreibbar schöner Anblick. Den Einstieg der Tour 'Fedele' fanden wir ohne größere Probleme und erreichten bald den ersten Stand. Der Fels machte einen guten ersten Eindruck und Lust auf mehr. Nur der Wasserfall über uns führte mehr Wasser als erhofft, aber das beunruhigte uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die nächsten beiden Seillängen wollten wir zusammenlegen. Auf Grund des massiven Knicks in der Linienführung klappte das aber nicht wirklich und Melanie hatte ziemlich mit der Reibung zu kämpfen. Allgemein ließen sich bei dieser Tour kaum Seillängen zusammen legen, da das verwinkelte Gelände meist kurz nach dem Stand den man übergehen wollte zu enormer Seilreibung führte. Probieren mussten wir es dennoch immer wieder, sehr selten sogar mit Erfolg. Einige schöne Klettermeter später querten wir das erste Mal den Wasserfall. Die Querung selbst war noch unproblematisch, doch der anschließende Riss war in der Gischt des Wasserfalls auch nicht wirklich trocken und bereitete etwas mehr Mühe als im trockenen Zustand. Es löste sich aber alles gut auf und vor uns lag nun wieder ein trockener Abschnitt mit wirklich schöner Kletterei. Allzu lang dauerte es aber nicht und wir standen wieder mitten im Wasserfall. Dort wo wir die Linie eigentlich vermuteten, ronn das Wasser der Wand entlang und ich verließ den nassen Riss so bald es sich anbot nach rechts. Nun war der Fels wieder einigermaßen trocken und die Kletterei vermutlich sogar leichter als im Fließendwasser. Im Anschluss konnten wir den trockenen Fels wieder deutlich mehr schätzen und genossen die anregende Kletterei. Bisher war die Wegfindung immer ziemlich eindeutig, man folgte einfach dem offensichtlich einfachsten Gelände in die Richtung die das Topo vorschlug. Irgendwie kam ich nun jedoch an einen Punkt, bei dem es entweder links schräg abwärts oder rechts schräg abwärts weiter ging. Das Topo aber wollte leicht links gerade hinauf. Vom weiteren Geländeverlauf schien mir die rechte Alternative sympatischer. Eine gute Entscheidung, wenig später erreichte ich den nächsten Stand und bis Melanie bei mir war, war ich mir ziemlich sicher, dass wir auf der richtigen Line waren und nicht in einem Verhauer-Stand. Im Weiteren passte das Gelände wieder zum Topo und wir waren zurück auf Kurs. Leider führte uns dieser Kurs noch ein letztes Mal in den Wasserfall, und diesmal ging es voll durch die Dusche durch. Ich versuchte so schnell es ging den herabfallenden Wasserstrahl zu verlassen ehe allzu viel Wasser bei meinem Ärmel hinein geronnen war. Im Großen und Ganzen blieb ich verhältnismäßig trocken. Dennoch war ich froh, als wir endlich das Geplätscher hinter uns ließen. Der Schrägriss der uns ins Trockene führte war sehr schön und verhältnismäßig gut abgesichert, aber für einen Vierer nicht geschenkt. In den abschließenden Kaminseillängen fühlte ich mich ziemlich dick, so richtig wollten der Rucksack und ich nicht in den Schlurf hineinpassen. Trotz gelegentlicher Verklemmungen kämpfte ich mich irgendwie hoch und schaffte es zu dem großen Schotterband. Melanie stellte sich deutlich geschickt an und spazierte gemütlich durch die Schlurfe hinauf.
Eigentlich wollten wir im oberen Wandteil noch die Tour 'Dibona' anhängen. Da für Nachmittag Regen prognostiziert war und wir durch die Nässe, Seilreibungsgemurkse, Wegfindungsgemurkse und so weitere relativ viel Zeit liegen gelassen hatten, war es mittlerweile schon recht spät und wir entschieden uns, es für heute gut seien zu lassen. Der Steig über das große Schotterband in Richtung Pordoi Scharte war gelegentlich nur sehr schwach ausgeprägt und verlangte noch mal etwas Konzentration. Am Wanderweg angekommen ging es trockenen Fußes zurück zum Auto.
Die Tour 'Fedele' in der Pordoi Spitz Westwand ist wohl ein Muss für jeden Vollblut-Alpinisten. Die relativ leichte Kletterei in fast ausschließlich kompaktem Fels macht richtig Spaß und die spärliche Absicherung mit häufig wenig vertrauenswürdigen Rostgurken aus der Antike fordert die Moral. Die meisten Stände sind recht vertrauenswürdig, hineinsetzen wollte ich mich aber nicht in jeden. Großteils ist das aber auch nicht nötig, weil man fast immer auf schönen Podesten steht. Bis auf eine Stelle ist die Wegfindung mit dem passenden Topo sehr unproblematisch und auch an dieser einen Stelle folgt man einfach der einladenderen Linie. Das wunderschöne Ambiente rundet das Abenteuer noch weiter ab und macht die Tour zu einem unvergesslichen Gesamterlebnis. Weiter empfehlen kann ich dieses Abenteuer auf jeden Fall, ich würde nur dazu raten, bei möglichst trockenen Verhältnissen einzusteigen und eine ordentliche Portion Moral einzupacken.