Sonntag, 30. Juni 2019

Die Verschwörung der Idioten

Mit einer derartig schönen Tour hatte ich heute nicht gerechnet. Zwar waren Topo und Wandbild schon recht vielversprechend, aber die Realität überbot das alles noch mal bei weitem. Schon am Morgen fing es gut an, als Jakob und ich vom Bodenbauer losstarteten. Die Aussicht dort ist jedes mal aufs neue malerisch. Beim Plaudern verging der Zustieg in Windeseile und dank der detailierten Zustiegsbeschreibung fanden wir ohne Umwege zum Einstieg. Bereits beim Anblick des kompakten, nach oben hin ansteilenden Plattenpanzers fing es in den Fingern an zu Jucken. Dafür, dass ich so motiviert war heute, war ich irgendwie ziemlich langsam und nicht ganz fokusiert. Das bekam ich in der ersten Seillänge gleich zu spüren. Nachdem ich mich bis zum ersten Haken ein wenig hinaufgezittert hatte und zweimal die Linie falsch gelesen hatte, waren die Rotpunkt-Hoffnungen gleich zu Beginn verflogen. Schön war die Seillänge trotzdem und auch die folgenden fünf noch eher leichten Seillängen waren ein Traum. Langweilig wurde es nicht. Es gab kaum Passagen wo man nicht nach Griffen oder Tritten suchen musste. Doch es löste sich alles gut auf mit sehr vielen beeindruckend schönen Klettermetern in großteils kompaktem und häufig plattigem Fels. In der ersten schwereren Seillänge machte Jakob eine gute Figur und zog voll durch. Ich war im Nachstieg etwas schlampig und baumelte zwischendurch mal im Seil. Auch egal, für mich wurde es erst jetzt richtig spannend. Die Schlüsselseillänge stand bevor. Top Motiviert und noch einigermaßen bei Kräften stieg ich ein. Ein paar anregende Klettermeter weiter stand ich in der ersten schweren Stelle. Ein paar unproblematische Stürze später hatte ich die winzigen Strukturen gefunden, die mich zum nächsten Bohrhaken brachten. Somit war die schwerste zwingend zu kletternde Stelle hinter mir. Im eigentlich leichteren Zwischengelände zur Schlüsselstelle fand ich mich nicht allzu gut zurecht. Irgendwie waren zwar viele größere Strukturen da, besonders gute Griffe fand ich aber nicht. Also arbeitete ich mich von Haken zu Haken durch das undurchsichtige Gelände aufwärts bis ich in der Schlüsselstelle ankam. Dort hatte ich doch schon einiges an Schmalz verpulvert, weshalb ich nicht die Muße hatte, die Stelle detailiert auszuchecken. Nach ein wenig Griff-Grabscherei nullte ich mich drüber und erreichte in wenigen wieder deutlich gemütlicheren Metern den Stand. Jakob fand noch eine Leiste in der Schlüsselstelle, die ich übersehen hatte. Würde mich interessieren, ob ich die Stelle damit auflösen könnte. Naja, das werden wir beim nächsten Mal herausfinden. Ganz frisch war Jakob in seiner nächsten Seillänge nicht und die hatte es noch mal ganz schön in sich. Also legte er auch noch eine Flugstunde ein und schloss sich mir in seiner letzten Vorstiegs-Seillänge an im Klub der Rotpunkt-Vermurkser. Die letzte Seillänge hatte noch ein paar knackige Meter ehe es deutlich leichter wurde. Ein genussvolles Ende einer großartigen Kletterei.
Doch die Tour war noch nicht zu Ende. Zuerst war noch Abseilen am Programm und das gestaltete sich heute besonders spannend. Der Wind ließ die Seile teilweise waagrecht stehen. Doch das war nicht unser einziges Problem. Das bergsteigen.com Topo hatte einen Abseilstand eingezeichnet, den es nicht gibt, was Jakob eine schweißtreibende Prusik-Einheit bescherte. Da Jakob nun ziemlich ausgepowert war, durfte ich die restlichen Seillängen vorfahren. Zum Abziehen der Seile versuchten wir möglichst windstille Momente zu nutzen. Glücklicher Weise kamen wir ohne weitere Probleme zurück zum Einstieg, wo der erste Schluck Wasser im trockenen Mund besser schmeckte als der köstliche Radler, den wir uns nach dem Abstieg beim Bodenbauer gönnten.
Dass diese traumhaft schöne Tour laut Wandbuch in den 17 Jahren seit Ihrer Erstbegehung gerade mal 15 Einträge erhielt, wundert mich sehr. Ok, wir haben uns auch nicht eingetragen. Aber dennoch bedeutet das, dass pro Jahr kaum mehr als eine Seilschaft die Tour klettert. Dabei hat diese Tour fast alles zu bieten, was man sich von einer Top-Kletterei erwartet; fast ausschließlich kompakter Fels, interessante Kletterei die von Anfang bis Ende nie langweilig wird, spannende Linienführung durch eine imposante Wandflucht, gute Absicherung, eine knackige Schlüsselseillänge und das alles in einer traumhaften und einsamen Umgebung.

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